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Istituto per la storia del Risorgimento italiano

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Erstanlage/prima edizione: 15.08.2003,
Stand/ultimo aggiornamento: 01.01.2016

Übersicht über die Berichte und Rezensionen / Sommario dei resoconti e delle recensioni

Forschungsberichte 1 /
Prospettive e bilanci di ricerca 1:

Neue Perspektiven der Risorgimento-Forschung im Italien der „Zweiten Republik“ 1992-2002
von Werner Daum

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Die neuen Forschungsperspektiven auf das Risorgimento erfuhren im Zuge des geschilderten politischen Umbruchs im Italien der 1990er Jahre eine enorme Belebung und Bereicherung. Wie anlässlich der Zäsur von 1945 löste auch die politische und moralische Krise der „Ersten Republik“ in der italienischen Gesellschaft intensive Bemühungen um eine Neuorientierung und Standortbestimmung aus. Neben der öffentlichen Auseinandersetzung über notwendige institutionelle und konstitutionelle Reformen fühlten sich schon frühzeitig namhafte Historiker von dieser ideologischen Krise herausgefordert, zumal sich mit ihr auch eine prinzipielle Infragestellung des Risorgimento-Konzeptes als Ideologie des unitarischen italienischen Nationalstaats verknüpft.1 Infolge der traditionellen Verknüpfung zwischen Risorgimento-Geschichtsschreibung und partei- bzw. tagespolitischer Auseinandersetzung in Italien ruft der politisch-gesellschaftliche Umbruch auch in der Geschichtsschreibung ein wachsendes Interesse für die möglichen historischen Ursachen gegenwärtiger Zustände hervor.2

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Die Veränderungen der italienischen Gegenwart zwingen zu einer Neuorientierung, die an der Geschichte und Tradition nicht vorbeigehen kann. Seit einem Jahrzehnt werden daher die Widersprüche und Defizite im Prozess der Nationalstaats- und Nationsbildung stärker beleuchtet und insgesamt der Verlauf des Risorgimento kontrovers diskutiert. Dies hat beispielsweise der Debatte über Föderalismus oder Unitarismus, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht, neue Aktualität verliehen.3 Auch werden Funktion und Einfluss, die der Kirchenstaat und der politische Katholizismus als gesamtitalienische moralische Instanz beim „nation-building“ geltend machten, heftig diskutiert.4 Selbst der Gründungsmythos der italienischen Republik, der in Gestalt der heroisierten „Resistenza“ einst den Weg aus der politischen und moralischen Verstrickung mit dem faschistischen Regime zum demokratischen Neubeginn gewiesen hatte, bleibt von der historischen Revision nicht ausgenommen: Die polarisierenden bürgerkriegsähnlichen Ereignisse des antifaschistischen „Befreiungskriegs“ haben sich in der anschließenden Phase des Kalten Krieges in gegensätzlichen Erinnerungen eingelagert, was nun als Ursache für den im heutigen Italien beklagten Mangel an nationaler Einheit und Identität betrachtet wird.5 Auch die in diesem Zusammenhang durch die marxistisch inspirierte Geschichtsschreibung intensivierte Auseinandersetzung mit den Unzulänglichkeiten und Defiziten der nationalen Einigung wird nun als politisch-ideologische Mythenbildung zurückgewiesen.6 Die jüngste Geschichte der „Ersten Republik“ gerät für manchen Historiker gar zu einem exemplarischen Anschauungsstück der historischen Kriminologie.7

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Trotz dieser Tendenzen zum Bildersturm und ungeachtet des fachinternen Charakters mancher Debatten über partei- und schulbezogene Positionen zeigt sich die Historiographie der letzten Jahre zugleich auch verstärkt darum bemüht, durch Öffnung gegenüber einem breiteren Publikum die italienische Nation neu zu erfinden. Neuere Beiträge untersuchen die nationale Identitätsbildung als kulturelle Konstruktion, die zu jeder Zeit neu geleistet werden muss.8 Der innovative Zug dieser öffentlichen Geschichtskonjunktur beruht auf einer größeren Berücksichtigung kulturgeschichtlicher Perspektiven bei der Vermittlung der Nationalgeschichte. Indem nicht mehr nur die großen Männer und Ideen9 oder die Daten und Fakten der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, sondern auch die symbolischen Elemente und (volks-)kulturellen Implikationen des Nationsbildungsprozesses dargestellt werden, scheint die Rezeptionsschwelle für historische Literatur zu sinken und zugleich die Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Identifizierung mit der Nationalgeschichte zu steigen.10 Auf diese Weise gerät die lange Zeit vorherrschende Würdigung der männlichen Nationalhelden des 19. Jahrhunderts zur verstaubten Erzählung immer wieder neu aufgelegter Handbücher, die angesichts der moralischen Demaskierung ihrer Epigonen des 20. Jahrhunderts niemanden mehr überzeugen kann.

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Die Entwicklung neuer Forschungsperspektiven hat auch die traditionelle Ausrichtung der Risorgimento-Forschung auf den Staat und die Nation Gesamtitaliens gelockert und den Blick für die Realität der vormaligen Einzelstaaten geschärft. Die Betrachtung der Partikularismen wie überhaupt die Hinwendung zur Region haben diese von der einheitsstaatlichen Konstruktion abgekoppelt und deren historisch-geographischen Eigenständigkeiten ins Zentrum gerückt. Die zentrifugalen Kräfte, die das unitarische Gebot des Risorgimento-Konzeptes bis in jüngste Zeit hinein immer wieder außer Kraft zu setzen drohen, hatten allerdings bereits in der Sizilianismus-Forschung zu einer stärkeren Berücksichtigung des Verhältnisses von Nationalismus und Regionalismus geführt. Demgegenüber beruht die seit mehreren Jahren von Giuseppe Galasso und anderen, vornehmlich süditalienischen Historikern und Historikerinnen vertretene Geschichtsschreibung über „den“ Mezzogiorno auf einem Verständnis ihres Gegenstandes, der sich einer mythischen Traditionserfindung verschließt. Galasso möchte den italienischen Süden nicht als isolierte geographische und historische Größe, sondern nur in seinem italienischen und europäischen Zusammenhang betrachtet wissen, innerhalb dessen seine historische Eigenständigkeit erst ihren Sinn erhielte. Eine Identifizierung des Mezzogiorno-Begriffes mit einem Wertezusammenhang - wie etwa der positiv oder negativ gewertete Mythos einer vermeintlichen „meridionalità“ - lehnt er ab.11

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Die neuere Forschung zur ‚Südfrage‘ problematisiert inzwischen den konstruktivistischen Charakter politischer und historiographischer Repräsentationen „des Südens“, die in der Tradition des Meridionalismo unterschiedliche süditalienische Territorien und Regionen zu einem Gegenstand inferiorer Anschauung verbanden. Bei der Dekonstruktion der ‚Südfrage‘ hat sich die Eignung kulturgeschichtlicher Instrumentarien erwiesen: So lässt sich etwa mit Hilfe von Diskurstheorien die Funktion der Inferioritätsthese in ihrem Zusammenhang mit geschlechts-, klassen- und regionalspezifischen Ordnungshierarchien im italienischen Nationalstaat des späten 19. Jahrhunderts aufzeigen. Ist erst einmal deutlich geworden, wie dort die Debatten über sexuelle Moral, eheliche Konventionen und politische Ordnung allesamt von derselben Sorge der wissenschaftlichen und politischen Eliten über den Wandel der Massengesellschaft in einem zwischen Norden und Süden zerrissenen Italien motiviert waren, so erweist sich die Inferioritätsthese als Instrument zur Errichtung bzw. Aufrechterhaltung regionaler und geschlechtsspezifischer Hegemonien. Denn die Wirkung des inneritalienischen Rassismus eines Alfredo Niceforo beruhte auf entscheidender Weise auf der Parallelisierung von südlicher Mentalität und den vorherrschenden psychologischen Anschauungen über die Frau (infantil, impulsiv etc.).12

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Bereits seit Mitte der 1980er Jahre bemüht sich eine historiographische Richtung um Carmine Donzelli darum, die Geschichte des Mezzogiorno von den üblichen modernisierungstheoretischen Bewertungskriterien zu befreien und die historische Eigenständigkeit der südlichen Regionen jenseits der ihnen durch die Südfrage auferlegten ‚Rückständigkeiten‘ und Abhängigkeiten wieder zu entdecken. Inzwischen prägt diese Gruppe von Historikerinnen und Historikern auch mit größerem institutionellen Nachdruck - d. h. dem „Istituto meridionale di storia e scienze sociali“ (Imes), der Zeitschrift „Meridiana“ und dem von Donzelli gegründeten Verlag - die neuere Geschichtsschreibung zu Süditalien.13 Aus ihren Reihen hat die polnische Historikerin Marta Petrusewicz kürzlich mit einer Studie für Aufsehen gesorgt, in der die „Südfrage“ und das ihr zugrundegelegte abwertende Bild über den Mezzogiorno ursächlich auf die persönlichen Ressentiments der süditalienischen Emigranten gegenüber ihrer Heimat, die sie nach 1848 hatten verlassen müssen, zurückgeführt und somit als zunächst subjektiv gefärbte Konstruktionen entlarvt werden, die freilich nach der italienischen Einigung und in der sich daran anschließenden Publizistik des Meriodionalismo rasch zur negativen Repräsentation des Südens erstarrten.14

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Eine solche Neubesinnung auf die politische und wirtschaftliche Autonomie, die gesellschaftliche und die kulturelle Lebendigkeit der italienischen Staaten vor der nationalen Einigung führt nun auch in breiterem Rahmen zu der Erwägung, dass die Nationalstaatsgründung von 1861 in der Geschichte der Einzelstaaten nur eine der möglichen Wege, keinesfalls jedoch die immer und unbedingt angestrebte beste Lösung bedeutete. Der Bologneser Sachbuchverlag „Il Mulino“ hat bereits vor einigen Jahren einen exemplarischen literarischen Niederschlag dieser Tendenz in sein Programm aufgenommen: Es handelt sich um Alfonso Sciroccos vorwiegend politik- und sozialgeschichtliche Synthese zum Risorgimento, in der die vergleichende Betrachtung der Geschichte der italienischen Einzelstaaten deren politische, wirtschaftliche und kulturelle Eigenarten deutlich in den Vordergrund rückt. Der neapolitanische Historiker weist damit vor allem darauf hin, dass es sich um einen perspektivischen Trugschluss handelt, den Ursprung einheitsstaatlicher Bestrebungen auf die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts vorzuverlegen. Denn ein unabhängiger italienischer Nationalstaat wurde um 1820 und auch darüber hinaus höchstens als föderativer Zusammenschluss mehr oder weniger autonomer Einzelstaaten erwogen.15 Einer solchen, gegenüber der vorangegangenen Nationalgeschichtsschreibung, korrigierten Perspektive auf das Risorgimento sehen sich auch neuere Forschungen verpflichtet, die von italienischer wie deutscher Seite das Bild einer liberalen, der Nation verpflichteten Bürgergesellschaft hinterfragen und stattdessen Provinzialität, Kampanilismus, Traditionalismus und soziale Exklusivität als die Kennzeichen des italienischen Liberalismus im Postrisorgimento thematisieren.16

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Mit Sciroccos Studie hat der Mulino-Verlag eine neue Publikationsreihe eröffnet, die sich unter dem genannten veränderten Erkenntnisinteresse der Geschichte aller italienischen Einzelstaaten vor der nationalen Einigung widmet und damit an ältere Projekte des Verlags anknüpfen konnte.17 Die Reihe wurde dann fortgeführt durch eine weitere Risorgimento-Synthese des Historikers Franco Della Peruta.18 Explizit einem Einzelstaat widmet sich schließlich die Studie von Angelantonio Spagnoletti, der im Königreich beider Sizilien der Restaurationsepoche dank der napoleonischen Reformen und dem Erneuerungswillen des bourbonischen Königshauses deutliche Entwicklungsansätze zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung zu erkennen vermag.19 Im Ergebnis vermittelt Spagnolettis Studie ein historisches Bild Süditaliens, das wenig mit den herkömmlichen Beschreibungen des klassischen Meridionalismo zu tun hat, sondern stattdessen die Vorrangstellung „beider Sizilien“ gegenüber der übrigen italienischen Staatenwelt in zahlreichen Bereichen unterstreicht: von der ersten Dampfschiff- und Eisenbahnlinie Italiens und der weitgehenden Übernahme und Weiterentwicklung des napoleonischen Verwaltungssystems über die dem aufgeklärten bourbonischen Absolutismus geschuldeten europäisch-wegweisenden Rechtsreformen und Säkularisierungstendenzen bis hin zur kulturellen Belebung des Landes durch die bedeutende Ausstrahlung des bourbonischen Hofes und die wissenschaftlichen und bildungspolitischen Initiativen der Könige selbst.

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Diese neueren Ansätze haben dazu beigetragen, dass sich die grundlegende Bewertung des Südens auf der Skala zwischen ‚Normalität‘ und ‚Andersartigkeit‘ zugunsten des erstgenannten Pols verschob. Dennoch bleibt die Anwendung kulturgeschichtlicher Erkenntnisperspektiven gegenüber ideen-, politik- und sozialgeschichtlichen Untersuchungen bei der Behandlung der Risorgimento-Epoche numerisch und qualitativ ein Desiderat. Auch mangelt es der Geschichtsschreibung über den Mezzogiorno an komparatistisch ausgerichteten Studien, die sich dem Problem regionaler Unterschiede in Süditalien auf analytische Weise stellten.20 Dies mag in den institutionellen Bedingungen selbst seine Ursache haben, unter denen sich die italienische Geschichtswissenschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts organisierte: Die Gesellschaften und Vereine für Heimatgeschichte, die eine nicht unerhebliche Rolle bei der Etablierung der Geschichtswissenschaften in Italien spielten, förderten eine starke regionalgeschichtliche Spezialisierung der historischen Forschung, die häufig durch mangelnde Vernetzung und durch kollegiale Kompetenzabgrenzung auf die wissenschaftlichen Ressourcen der jeweiligen Provinzhauptstadt isoliert blieb.21 Dieser Umstand ist noch heute spürbar: Neapolitanische Historiker forschen zur Geschichte Unteritaliens, ihre Kollegen in Palermo, Catania oder Messina beschränken sich auf die Geschichte Siziliens. Eine stärkere komparatistische Zusammenführung der Forschungen könnte hingegen sowohl für die Geschichtsschreibung des Risorgimento als auch für die des Mezzogiorno, wie überhaupt für die Regionenforschung vorteilhaft sein.

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Als Ergänzung und Aktualisierung dieses Forschungsberichts sind unbedingt die übrigen Berichte und Rezensionen und die entsprechende Sektion der Bibliographien heranzuziehen.




Anmerkungen

  1. Das Scheitern und Ende der Risorgimento-Ideologie wurde eingeläutet von Sergio Romano, Declino e morte dell'ideologia risorgimentale (1994), in: ders., Storia d'Italia dal Risorgimento ai nostri giorni, Milano 1999, S. 378-391. Der an der Universität Bari lehrende Historiker Piero Bevilacqua, zugleich Mitglied des Istituto meridionale di storia e scienze sociali (Imes), wollte die sezessionistische Manifestation der „Lega Lombarda“ als nützliche Gelegenheit dafür verstanden wissen, dass sich Historiker breitenwirksam dem Nachdenken über die nationale Einheit zuwenden. L'Unità, 73, Nr.  219 (14.9.1996), S. 7.      Zurück in den Text

  2. Ein Resumée der Risorgimento-Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert stand beim Kongress des Risorgimento-Instituts 2000 auf der Tagesordnung: Ester Capuzzo (a cura di), Cento anni di storiografia sul Risorgimento. Atti del LX congresso di Storia del Risorgimento italiano (Rieti, 18-21 ottobre 2000), Roma 2002. Eine auf die jüngere Forschungsdebatte zur Epoche des Risorgimento zugespitzte Bilanz liefert Giuseppe Talamo, Il Risorgimento italiano. Una riflessione sull'unificazione statale nell'Ottocento: lo stato attuale del dibattito storico e politico, in: Arnold Esch / Jens Petersen (Hg.), Deutsches Ottocento. Die deutsche Wahrnehmung Italiens im Risorgimento (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 94), Tübingen 2000, S. 19-29. Zu den Konsequenzen für die italienische Zeitgeschichtsschreibung: Michael Kreile, Die Republik Italien 1946-1996, in: Geschichte und Gesellschaft [im folgenden: GG], 26 (2000), H. 2 (Wolfgang Schieder: Italien im 19. und 20. Jahrhundert - ein ‚Sonderweg‘?), S. 255-284.      Zurück in den Text

  3. Siehe etwa Angiolo Bandinelli (Hg.), L'Italia in frantumi: il dibattito federalista dal Risorgimento alla Lega, Vorw. v. Adriano Sofri, Pordenone o. J.; Alfonso Scirocco, In difesa del Risorgimento, Bologna 1998, erkennt gerade in der übereilten Staatsorganisation der italienischen Einigung, die schließlich zur zentralistischen Lösung führte, eines der Hauptmerkmale für den künstlichen Charakter der italienischen Nationalstaatsgründung.      Zurück in den Text

  4. Zur historischen Entwicklung und Funktion der entgegengesetzten Nationenkonzepte des Katholizismus und des laizistischen Staats, die sich 1848-1948 in Italien unversöhnlich gegenüberstanden (d. h. seit Beginn der „Intransigenz“ durch Pius IX. bis zum Wahlsieg der Christdemokraten unter de Gasperi), siehe aus der Sicht der laizistisch-liberalen Geschichtsschreibung Aldo Schiavone, Italiani senza Italia - storia e identità, Torino 1998. - Von katholisch-liberaler Seite wird dagegen die nationale Integrationskraft des Papsttums und der Kirche historisch gewürdigt: Guido Formigoni, L'Italia dei cattolici. Fede e nazione dal Risorgimento alla Repubblica, Bologna 1998.      Zurück in den Text

  5. Eine Forschungsvereinigung von Historikern und Sozialwissenschaftlern bemüht sich in diesem Sinne seit Herbst 1997 um eine Neubearbeitung des Gedächtnisses, der Geschichte und der Identität der italienischen Republik. Siehe etwa den Artikel von Giuseppe Vacca, Una memoria da ricostruire, in: Il Sole 24 Ore, 5.10.1997. - Seit mehreren Jahren regt sich innerhalb der ‚linken‘ Geschichtsschreibung Kritik am Resistenza-Mythos, wobei besonders dem lange zugrundegelegten stillschweigenden Einverständnis zwischen Zivilbevölkerung und Partisanenverbänden widersprochen wird. Exemplarisch für diese Forschungsrichtung sind Claudio Pavone, Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza, Torino 1991; Aurelio Lepre, Via Rasella - Leggenda e realtà della Resistenza a Roma, Roma-Bari 1996 (explizit gegen die durch Roberto Rossellini mit seinem Film „Roma città aperta“ unterstützte Mythenbildung); Paolo Pezzino, Anatomia di un massacro - Controversia sopra una strage tedesca, Bologna 1997; Ders. / Michele Battini, Guerra ai civili. Occupazione tedesca e politica del massacro: Toscana 1944, Venezia 1997; Giovanni Contini, La memoria divisa, Milano 1997; Massimo Storchi, Combattere si puņ, vincere bisogna. La scelta della violenza fra Resistenza e dopoguerra (Reggio Emilia 1943-1946), Venezia 1998. Vgl. auch Silvio Bertoldi, Apocalisse italiana. Otto settembre 1943: fine di una nazione, Milano 1998.      Zurück in den Text

  6. Giovanni Belardelli / Luciano Cafagna / Ernesto Galli della Loggia / Giovanni Sabbatucci, Miti e storia dell'Italia unita, Bologna 1999.      Zurück in den Text

  7. Nicola Tranfaglia, Un capitolo del doppio Stato. La stagione delle stragi e dei terrorismi (1969-1984), in: Francesco Barbagallo (Hg.), L'Italia nella crisi mondiale: l'ultimo ventennio (= Storia dell'Italia repubblicana, 3), 2 Bde., Torino 1997. Mit negativer Bewertung auch Roberto Martucci, L'invenzione dell'Italia unita 1859-1864, Milano 1999.      Zurück in den Text

  8. Solche nationalen Identitätsbildungen in der Malerei, Musik (Verdi), Literatur (Manzoni), Geschichtsschreibung (Croce, Gentile, Volpe) und im Film (Visconti) Italiens im 19. und 20. Jahrhundert untersuchen die Einzelbeiträge in Alberto Russell Ascoli / Krystyna von Henneberg (Hg.), Making and Remaking Italy: The Cultivation of National Identity around the Risorgimento, New York - Oxford 2001. – Einen Überblick zur diesbezüglichen Geschichtsschreibung der 1990er Jahre liefert Alfredo Capone, Tradizione del Risorgimento e identità nazionale, in: Ester Capuzzo (a cura di), Cento anni di storiografia sul Risorgimento. Atti del LX congresso di Storia del Risorgimento italiano (Rieti, 18-21 ottobre 2000), Roma 2002, S. 229-273, hier: S. 261-273. Einige exemplarische Titel: Ugo Bellocchi, Il tricolore. Duecento anni (1797-1997), Modena 1996; Sergio Bertelli (Hg.), La chioma della vittoria. Scritti sull'identità degli italiani dall'Unità alla seconda Repubblica, Firenze 1997; Tobia Bruno, Una patria per gli italiani. Spazi, itinerari, monumenti dell'Italia unita (1870-1900), Roma-Bari 1991; ders., L'Altare della Patria, Bologna 1998; Ernesto Galli della Loggia, L'identità italiana, Bologna 1998; Mario Isnenghi, I luoghi della memoria, 4 Bde., Roma-Bari 1996-1997; Ilaria Porciani, Una festa per la nazione. Rappresentazione dello Stato e spazi sociali nell'Italia unita, Bologna 1997; Romano Ruggiero, Paese Italia. Venti secoli di identità, Roma 1994. – Ausdruck dieser Hinwendung zur Frage der nationalen Identität war auch die im Oktober 1997 in Catania von der Società per lo Studio della Storia Contemporanea (SISSCO) ausgerichtete Tagung über „I linguaggi della nazione in Italia dall'Ottocento ad oggi“, mit der die Expertenzunft der neueren italienischen Geschichte ausdrücklich auch beabsichtigte, einen (sprach- und kultur-) wissenschaftlichen Beitrag zu der vornehmlich in der Tagespresse ausgetragenen Debatte über das Thema beizusteuern. Siehe etwa das Interview mit Claudio Pavone, dem Vorsitzenden der SISSCO, in: L'Unità, 7.10.1997; vgl. auch den Tagungsbericht in: Società Italiana per lo Studio della Storia Contemporanea. Bollettino, 18 (Dez. 1997), S. 20-23.      Zurück in den Text

  9. Ein lange gefeiertes Beispiel für eine solche Geschichte der großen Männer und ihres erfolgreichen minoritären Milieus war Benedetto Croce, Storia del Regno di Napoli, Bari 1925 (Neuaufl. hg. v. Giuseppe Galasso, Milano 1992), der diese in seinen theoretischen Überlegungen seinerzeit als vielversprechenden neuen Ansatz pries: Die zu schreibende und zu erzählende Geschichte „non puņ essere se non storia di un processo, e qui di un processo politico e morale, che ha capo e coda, cuore e cervello, ed è qualcosa di organico e vivente, e, come ogni vivente, incontra bensí ostacoli, soffre malanni e infermità, ma, fintanto che esiste, vive e si svolge. Per la storia che trattiamo, come per ogni altra storia, bisogna dunque fermare lo sguardo sull'elemento vivo e fattivo, quale che esso sia, e nel nostro caso su quella classe intellettuale e politica che abbiamo visto formarsi e di cui conviene seguire l'opera posteriore e le successive trasformazioni e, se mai, il suo dissolversi al sorgere di un'altra forza dirigente.“ Ebd., S. 206f. Zugunsten einer sinnhaften und zielgerichteten politischen Geschichte der Eliten riet Croce ausdrücklich zur Vernachlässigung der Volkskultur und zur Konzentration auf die aktive und handlungsentschlossene Minderheit als eigentlichem historischen Subjekt (ebd., S. 211).      Zurück in den Text

  10. Vgl. den expliziten Anspruch, eine verständliche Synthese der neueren italienischen Nationalgeschichte - auf 171 Seiten! - für die breite Bevölkerung zu komponieren, um allen den kollektiven Stolz zurückzugeben, der ihnen durch die jüngste historische und politische Krise Italiens genommen worden sei, bei Mario Isnenghi, Breve storia dell'Italia unita a uso dei perplessi, Milano 1998.      Zurück in den Text

  11. Giuseppe Galasso, Il Mezzogiorno nella storia d'Italia. Lineamenti di storia meridionale e due momenti di storia regionale, S. 7-11; ders., L'altra Europa. Per un'antropologia storica del Mezzogiorno d'Italia, Bari 1982, S. 453-462. Siehe auch das seit 1979 von demselben Historiker in einer monumentalen Verlagsreihe von Utet (Torino) zur neuzeitlichen Geschichte Italiens entwickelte Konzept, das sich unter Berücksichtung des Einflusses der europäischen Machtsysteme um einen Nachweis sowohl der kulturell hergestellten Einheit als auch der vielfältigen regionalen Eigenarten Italiens seit dem Ausgang des Mittelalters bemüht: Giuseppe Galasso / Luigi Mascelli Migliorini (Ltr.), Storia d'Italia, 25 Bde., Torino 1979-1998. Explizit zu diesem Konzept eines „molteplice Italia“: ders., L'Italia come problema storiografico (= Storia d'Italia, 1), Torino 1979; Giuseppe Galasso, Italia una e diversa nel sistema degli Stati europei (1450-1750), in: ders. / Luigi Mascelli Migliorini, L'Italia moderna e l'unità nazionale (= Storia d'Italia, 19), Torino 1998. In seiner jüngsten Bilanz zur Südfrage kommt Galasso allerdings angesichts der gegenwärtigen Lage des Mezzogiorno zu einer pessimistischen Einschätzung: Giuseppe Galasso, Il Mezzogiorno da „questione“ a „problema aperto“, Lacaita editore 2006.      Zurück in den Text

  12. Alice Kelikian, Science, gender and moral ascendancy in liberal Italy, in: Journal of Modern Italian Studies, 1 (1996), H. 3, S. 377 ff. Die Verfasserin hat im wissenschaftlichen Diskurs der Physiker, Gerichtsmediziner und Kriminalsoziologen sowie in der Entwicklung des Zivil- und Strafrechts aufgezeigt, wie die exklusive Position der Architekten des neuen Italien nicht nur in politischer und sozialer Hinsicht, sondern auch durch medizinische und kriminologische Reglementierung sexuellen und geschlechtsgebundenen Verhaltens abgesichert wurde. Der vorherrschende Positivismus führte dazu, Anschauungen über sexuelle Leidenschaft mit politischer Unruhe, über Frauen mit Bauern und Arbeitern, über weibliche Mängel mit der süditalienischen Unterentwicklung in Zusammenhang zu bringen.      Zurück in den Text

  13. Carmine Donzelli war vor Gründung seines Verlages bei Einaudi tätig, wo er für die Verlagsreihe zur „Geschichte Italiens“ gleichgesinnte Autoren um sich sammelte: Carmine Donzelli (Hg.), La Calabria (= Storia d'Italia. Le Regioni), Torino 1985. Diese gründeten in der Folge den Imes (1987) und die Zeitschrift „Meridiana“, die von Piero Bevilacqua geleitet wird, der für eine Auflösung der traditionellen Verbindung zwischen der Geschichte des Mezzogiorno und der Geschichte der Südfrage plädiert, um so zu einer erweiterten Perspektive auf die italienische Staatenwelt des Risorgimento zu gelangen: Piero Bevilacqua, Breve storia dell'Italia meridionale dall'Ottocento a oggi, Roma 1993..      Zurück in den Text

  14. Marta Petrusewicz, Come il Meridione divenne una Questione. Rappresentazioni del Sud prima e dopo il Quarantotto, Catanzaro 1998. Die Autorin lehrt Geschichte in Kalabrien und New York. Zur Rehabilitation süditalienischer und überhaupt mediterraner Werte und Lebensarten vgl. auch Mario Alcaro, Sull'identità meridionale, Torino 1999.      Zurück in den Text

  15. Alfonso Scirocco, L'Italia del Risorgimento 1800-1871 (= Storia d'Italia dall'Unità alla Repubblica, 1), Bologna 21993 (bes. S. 7 f.). Auch Sciroccos jüngste Bilanz zur neueren Risorgimento-Geschichtsschreibung erkennt entgegen ihres Titels prinzipiell die Legitimität einer historisch fundierten Kritik an den 1861 getroffenen Entscheidungen zur nationalen Einigung an: ders., In difesa del Risorgimento, Bologna 1998.      Zurück in den Text

  16. Diese neuere Tendenz der italienischen Sozialgeschichte bilanziert Marco Meriggi, Soziale Klassen, Institutionen und Nationalisierung im liberalen Italien, in: Geschichte und Gesellschaft, 26 (2000), S. 201-218. Auch auf einer deutsch-italienischen Tagung wurde kürzlich „eine wesentlich größere Fragmentierung der regionalen und schichtspezifischen Identitäten“ festgestellt, „als dies bislang von der instrumentellen offiziellen Gedächtnistradition eingeräumt werden konnte.“ Nicht die Nation, sondern die Frage des Kommunalismus, der Konfessionalisierung, des Verhältnisses von Kirche und Staat etc. hätten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Leitideen des liberalen Bürgertums geformt. „Die Konstruktion der italienischen Nation habe sich nicht aufgrund ihrer intrinsischen Werte durchgesetzt, sondern aufgrund der Fehler ihrer Gegner. Ohne die intransigente Haltung der von Habsburg abhängigen Dynastien wäre der italienische Nationalstaat nicht so schnell entstanden und hätte er des Weiteren eine andere Verfassungsgestalt angenommen.“ Siehe hierzu den Tagungskommentar von Patrick Ostermann, Neue Interpretationen des ‚risorgimento‘. Randbemerkungen zu einem deutsch-italienischen Symposium, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, 14 (2002), S. 281-285 (Zitate auf S. 281, 283).      Zurück in den Text

  17. Raffaele Romanelli, L'Italia liberale 1861-1900, Bologna 1990 (11979); Emilio Gentile, L'Italia giolittiana 1899-1914, Bologna 1990 (11979).       Zurück in den Text

  18. Franco Della Peruta, La storia dell'Ottocento. Dalla restaurazione alla ‚belle époque‘, Firenze 1992.       Zurück in den Text

  19. Angelantonio Spagnoletti, Storia del Regno delle Due Sicilie, Bologna 1997.      Zurück in den Text

  20. Für einen Überblick über die neueren Tendenzen der ‚Süd-Forschung‘ und mit Kritik daran siehe Paolo Macry, Rethinking a stereotype: territorial differences and family models in the modernization of Italy, in: Journal of Modern Italian Studies, 2 (1997), H. 2, S. 189. Allgemein zur Anwendung komparatistischer Ansätze auf die Geschichte Italiens im 19. und 20. Jahrhundert siehe die Bilanz und etwas eigenwillige Konstruktion eines ‚implizit vergleichenden Zugangs‘ bei Mariuccia Salvati, Storia contemporanea e storia comparata oggi: il caso dell'Italia, in: Rivista di storia contemporanea, 21 (1992), H. 2-3, S. 486-510. Auf internationaler Vergleichsebene wurde jüngst der Versuch unternommen, sich der Integration zweier besonderer Peripherien - des italienischen Mezzogiorno und des nordamerikanischen Südens - in neue wirtschaftliche und politische Hegemoniesysteme durch innovative Fragestellungen etwa nach der Immaginationsleistung und den Geschlechterbeziehungen anzunähern: „Two Souths: Towards an Agenda for Comparative Study of the American South and the Italian Mezzogiorno“ (Commonwealth Fund Conference, London, 29.-30.1.1999).      Zurück in den Text

  21. Die „Società“ und „Deputazioni di storia patria“ haben seit der italienischen Einigung - mit Ausnahme der faschistischen Periode - ihre institutionelle Autonomie gegenüber nationalen historischen Instituten bewahrt, wobei letztere allerdings seit der Zweiten Nachkriegszeit durch eine bevorzugte öffentliche Subventionierung deutlich an Einfluss gewonnen und die Heimatgeschichtsvereine an den Rand der außeruniversitären Forschungslandschaft gedrängt haben. Siehe etwa den Tagungbericht „Storia contemporanea. I centri della ricerca fuori dell'università“ (Imola, 22.-23. Mai 1997), in: Società Italiana per lo Studio della Storia Contemporanea. Bollettino, Nr. 18 (Dez. 1997), S. 15 f. Im Gegensatz zum deutschen Geschichtsvereinswesen konnten die italienischen Geschichtsvereine allerdings noch im 19. Jahrhundert in ihren Reihen auf Repräsentanten der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung verweisen; Gabriele B. Clemens, Geschichtsvereine in Italien zwischen regionaler und nationaler Historiographie, in: Marco Bellabarba / Reinhard Sauber (Hg.), Identità territoriali e cultura politica nella prima età moderna. Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento / Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient. Contributi / Beiträge, 9), Bologna-Berlin 1998, hier bes. S. 389 (zur regional- und lokalhistorischen Verwurzelung der Vereine S. 394). Eine italienische Fassung erschien von ders., La costruzione di un'identità storica: le società di storia patria, in: Rassegna Storica del Risorgimento, 88 (2001), Suppl. al N. 4 (Andrea Ciampani / Lutz Klinkhammer: La ricerca tedesca sul Risorgimento italiano. Temi e prospettive. Atti del Convegno Internazionale, Roma, 1-3 marzo 2001), S. 77-96. Zur Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Italien siehe auch Romano Ugolini, L'organizzazione degli studi storici, in: Ester Capuzzo (a cura di), Cento anni di storiografia sul Risorgimento. Atti del LX congresso di Storia del Risorgimento italiano (Rieti, 18-21 ottobre 2000), Roma 2002, S. 83-176.      Zurück in den Text



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Werner Daum, Neue Perspektiven der Risorgimento-Forschung im Italien der „Zweiten Republik“ 1992-2002,
in: www.risorgimento.info/besprechungen2a.htm
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